Das Wunder von Ebersteinburg
 

Von Josef Gräf und Dr. Rolf Wilmes

Am 11. August trafen wir uns mit zahlreichen Freunden und Bekannten auf einer Wiese unterhalb der Ruine Ebersteinburg nördlich von Baden-Baden. Dieser Platz war schon im Mai von unserem Orga-Komitee als bester Beobachtungsort zwischen Karlsruhe und Baden-Baden ausgewählt worden: freies, nach Nordwesten abfallendes Gelände mit gutem Blick über die Rheinebene. Angereist waren etwa hundert Leute aus Gießen und Wiesbaden. Zwei Firmen und das Mathematische Institut der Uni Gießen hatten einen Betriebsausflug organisiert. Wir waren allerdings nicht die einzigen, die Ebersteinburg favorisierten. Eine badische Lokalzeitung hatte ihren Lesern diesen Ort empfohlen. Insgesamt waren auf der Wiese etwa tausend Menschen versammelt, ausgerüstet mit SoFi-Brillen, Kameras und Fernrohren.

Zur Zeit des berechneten Erstkontaktes um 11:11:47 Uhr versperrten Wolken den Blick auf unser Zentralgestirn. Etwa drei Minuten später wurde die erste Sichtung der nun schon leicht angeknabberten Sonne mit Applaus begrüßt. In der Zeit bis zum Zweitkontakt sah man die Sonne nur manchmal wenige Sekunden lang durch Wolkenlücken scheinen. Etwa zwanzig Minuten vor dem Zweitkontakt zog sich der Himmel völlig mit dunklen Wolken zu und ein feiner Nieselregen setzte ein. Zu diesem Zeitpunkt ließen die meisten alle Hoffnung fahren.

Doch dann geschah das Wunder von Ebersteinburg:
Eine Minute vor dem Zweitkontakt riß der Himmel auf und gab den Blick auf eine hauchdünne Sonnensichel frei. In der Rheinebene wurde es kontinuierlich dunkler und in den Städten ging die Beleuchtung an. Alle Blicke richteten sich nach oben, die Menschen verstummten. Die Dramatik dieses Augenblicks wurde noch gesteigert durch schnell vorbeiziehende dünne Wolkenfetzen. Dann wurde es schlagartig dunkel und die Korona wurde sichtbar. Mit bloßem Auge konnte man Protuberanzen als rote Punkte am Sonnenrand erkennen. Die helle Venus war zu sehen.
Einige empfanden die Zeitdauer als lange und kurz zugleich, andere vergaßen ihre penibel ausgearbeiteten Beobachtungs- und Fotografierpläne völlig und verharrten staunend. Eine schnelle Dämmerung aus Richtung Baden-Baden kündigte das Ende an, die erste Lichtperle zeigte sich am Sonnenrand bei zwei Uhr.

Stimmengewirr und Jubelschreie waren zu hören, manche umarmten sich. Alle wollten sich austauschen über das Unglaubliche. Das Interesse an der folgenden zweiten partiellen Phase wich einer allgemeinen Feierstimmung. Sektflaschen wurden entkorkt.

Viele verließen den Ort des Geschehens noch vor dem Viertkontakt, der wegen aufzeihender Wolken nicht mehr beobachtet werden konnte. Diejenigen unter uns, die noch länger (bis 15.30 Uhr ) in Ebersteinburg verweilten, konnten erleben, wie sich von Westen her pechschwarze Wolken über die Rheinebene schoben. Danach regnete es in Strömen und alle jetzt noch Anwesenden empfanden das Glück doppelt: Im entscheidenden Moment hatte sich der Himmel wie ein Fenster geöffnet.

Wiesbaden, den 15. August 1999

© 10. 11. 2001  by Josef Gräf,   Das Wunder von Ebersteinburg