Sofi 1999 - Rückblick 
von Claudia Hinz 
 

Millionen Menschen sind am 11. August 1999 in einen 120 km breiten Streifen geströmt, der sich von Südengland über Süddeutschland bis nach Indien erstreckt. Denn nur von dort aus sollte sie zu sehen sein: die letzte totale Sonnenfinsternis des ausklingenden Jahrtausends. Doch es wurde ein Wetterroulette, denn Petrus ließ die Finsternis-Touristen vielerorts im Wasser stehen.

Die Beobachtung in Mittel- und Westeuropa war stark davon abhängig, wie die Bewölkung der nach Süden ziehenden Kaltfront des sich nach Finnland verlagernden Tiefs entwickelte. Zum Beobachtungszeitraum verlief diese Front von den nördlichen Vogesen über Nordbaden und Oberfranken. Damit befand sie sich nahezu parallel zum Gebiet des Kernschattens und schränkte in diesem Bereich die Beobachtungsmöglichkeiten nicht nur durch starke Bewölkung, sondern auch durch Schauer und Gewitter ein. Kurze Wolkenlücken zeigten sich in Deutschland während der Beobachtungszeit zwischen 12 und 13 Uhr lediglich im Rheintal südlich von Karlsruhe und in der Gegend zwischen Sinsheim und Mühlacker. Bedingt durch einen leichten Föhneffekt war es auch im Berchtesgadener Land und im Chiemgau noch gebietsweise wolkenfrei. Ansonsten blieb der Himmel zumeist Wolken verhangen.

Wie das Wetter sonst in der Finsterniszone war sowie Fakten und Kurioses aus aller Welt sollen an dieser Stelle noch einmal zusammengefaßt werden.

England

Totalitätszone: Cornwall, Scilly Inseln, Hugh Town, Plymouth

Wetter: stark bewölkt und teilweise Regen

Sonstiges:
• Mit Ritualtänzen versuchten keltische Druiden stundenlang, wolkenfreie Sicht auf die Sonne herbeizuzaubern. Mit teilweisem Erfolg: nachdem der Kernschatten um 12.10 Uhr bei den britischen Scilly-Inseln Europa erreicht hatte, riß die Wolkendecke kurz auf.

• In Cornwall, wo die Meteorologen tags zuvor noch eine Sonnenscheinwahrscheinlichkeit von 95% angaben, blickten Millionen Menschen jedoch weiterhin enttäuscht ins trübe Dunkel.

• In London erlahmte während der Finsternis der Devisenhandel und bescherte dem Euro damit leichte Einbußen.

  Frankreich

Totalitätszone: Le Havre, Paris, Metz, Reims, Nancy, Straßbourg

Wetter: meist stark bewölkt, nur vereinzelt Wolkenlücken

Sonstiges:
• Die französische Staatsbahn SNCF hatte den Ansturm auf den Streifen der Totalitätszone zwischen Cherbourg am Ärmelkanal und Straßbourg im Elsaß offenbar unterschätzt. Zeitweise ging deshalb nichts mehr.

• In Paris herrschte indes wahre Volksfeststimmung. Hunderttausende feierten die Sonnenfinsternis am Eifelturm, auf dem Montmatre und dem Place de la Concorde.

• Zuvor hatte die Ankündigung der Pariser Verkehrsbetriebe, 7000 Schutzbrillen zu verteilen, in sieben Metro-Stationen zu Tumulten geführt.

• Der Modezar und selbsternannte Prophet Paco Rabanne ist nicht nur mit seinen düsteren Prognosen für den 11. August falsch gelegen, sondern auch als Unternehmer ordentlich in Bredouille geraten. Gegen ihn wurden nun drei Konkursverfahren eröffnet - und die Welt steht noch.

  Belgien

Totalitätszone: Ardenne

Wetter: meist stark bewölkt, nur vereinzelt Wolkenlücken

 

Luxemburg

Totalitätszone: Luxembourg

Wetter: meist stark bewölkt, nur vereinzelt Wolkenlücken

 

Deutschland

Totalitätszone: Saarbrücken, Kaiserslautern, Tübingen, Karlsruhe, Stuttgart, Reutlingen, Ulm, Augsburg, München

Wetter: meist stark bewölkt und gewittrig; nur vereinzelt gab es Wolkenlücken

Sonstiges:
• In Saarbrücken herrschte eine gespenstige Weltuntergangsstimmung als es dunkel wurde und gleichzeitig ein Gewitter niederging.

• Auch in Stuttgart war der Himmel völlig bedeckt und es regnete. Tausende enttäuschte Fans konnten die Sonnenfinsternis nur auf einer großen Leinwand verfolgen.

• Auch zu einem kuriosen Unfall kam es in Stuttgart, wo einem Wissenschaftler eine Fingerkuppe abgetrennt wurde, als der Stuhl, auf dem er saß, plötzlich zusammenklappte.

 

Österreich

Totalitätszone: Salzburg, Linz, Gmunden, Wels, Steyr, Graz, Wiener Neustadt Wetter:
im Westen größtenteils wolkenverhangen, nur vereinzelt, wie z.B. in Salzburg, Innsbruck sowie in der Mond- und Traunseeregion war die Finsternis teilweise zu sehen. Oststeiermark, Niederösterreich und Burgenland herrschte meist aufgelockerte Bewölkung.

Sonstiges:
• Tausende Wiener verbrachten die Totalität auf der völlig zugestauten Südautobahn, auf der sich eine 50 km lange Blechlawine im besten Fall zähflüssig vorwärts bewegte.

• In der dunkelsten Minute des Jahrhunderts erblickte im oststeirischen Feldbach ein kerngesunder Bub das verdeckte Licht der Welt.

• Auf dem Schöckel bei Graz wäre ein Kameramann des ORF beim Filmen beinahe aus dem Hubschrauber gefallen als das Trittbrett, auf dem er stand, plötzlich abbrach. Glücklicherweise war er angegurtet.

• Zu einem dramatischen Zwischenfall kam es auch in Graz: Die unseriösen Voraussagen vom drohenden Weltuntergang versetzten eine 50-jährige Frau derart in Panik, daß sie sich nackt aus dem zweiten Stock eines Hauses in die Tiefe stürzte. Die Leichtverletzte wurde in die Landesnervenklinik eingeliefert.

• In Wiener Neustadt sollten drei Hähne und 17 irische Wolfshunde den "neuen Tag" krähend und heulend begrüßen; sie zeigten sich jedoch von der Finsternis unbeeindruckt.

• Ein spezielles Sonnenfinsternisbier wurde in der einzigen Stiftsbrauerei Österreichs, im oberösterreichischen Schlägl gebraut.

• Den Lesern der polnischen Tageszeitung Gazeta Wyborcza wird der 11. August als schwarzer Tag in Erinnerung bleiben, speziell, was ihre Finger anbelangt. Denn Chefredakteur Adam Michnik hatte zu Ehren der Sonnenfinsternis Farbumkehr bestellt, die Titelseite erschien völlig schwarz mit weißer Schrift.

 

Ungarn

Totalitätszone: Szombathely, Ajka, Balaton, Makó, Székesfehérvár, Veszprém, Szeged Wetter:meist sonnig, nur vereinzelt dünne Wolkenfelder, extrem gute Fernsicht

Sonstiges:
• 4,5 Mio Touristen und Hobbyastronomen fieberten am Balaton dem Naturschauspiel entgegen. Doch kurz vor der Totalität verdeckte ein dünnes Wolkenband die Sonne.

 
Jugoslawien

Totalitätszone: Nordjugoslawien: Subotica, Kikinda

Wetter: leicht bewölkt

 

Rumänien

Totalitätszone: Arad, Hunedoara, Pitesti, Bukarest, Silistra, Timisoara

Wetter:in der rumänischen Hauptstadt bedeckten dichte Wolken die Finsternis

Sonstiges:
• In vielen Bergdörfern schlossen sich die Bauern angstvoll in die Häuser ein und verklebten die Fenster mit Papier.

• Auch wurde den Kühen die Augen verbunden, weil das gleichzeitige Sehen von Sonne und Mond als unheilbringend gilt.

• Star-Tenor Luciano Pavarotti erlebte die Sonnenfinsternis in Rumäniens Hauptstadt Bukarest und gab ein Konzert auf dem "Platz der Verfassung".

 

  Bulgarien

Totalitätszone: Nordost-Bulgarien: Tutrakan, Dobric, nördlich von Varna, Kavarna, Balcik

Wetter: wolkenlos

 

Türkei

Totalitätszone: Bartin, Kastamonu, Corum, Amasya, Turhal, Tokat, Sivas, Divrigi

Wetter: wolkenlos

 

Irak

Totalitätszone: Arbil

Wetter: wolkenlos

 

Iran

Totalitätszone: Isfahan, Kerman, Najafabad

Wetter: meist wolkenlos

Sonstiges:
• Irans geistlicher Führer Ali Khamenei forderte die Bevölkerung während der Sonnenfinsternis zum gemeinsamen Gebet in den Moscheen auf. Der Ayatollah meinte, gegenüber dem Allmächtigen müsse sich das iranische Volk in Bescheidenheit üben und die für die Finsternis vorgesehenen Gebete sprechen.

 

Pakistan

Totalitätszone: Karachi

Wetter: meist wolkenlos

 

Indien

Totalitätszone: Neu Delhi

Wetter: wolkenlos bis locker bewölkt

Sonstiges:
• Im nordindischen Wallfahrtsort Kurukshetra begingen hunderttausende Hindus die totale Sonnenfinsternis mit einem "Glücksbad" in einem Teich.

 

Aus dem Rest der Welt

  • Am längsten konnte die verdunkelte Sonne von den eigens dafür gecharterten "Concordes" beobachtet werden. Die mit zweifacher Schallgeschwindigkeit fliegenden Jets jagten dem Mondschatten hinterher und die Passagiere erlebten dabei immerhin sechs völlig dunkle Minuten - vorausgesetzt sie hatten einen Fensterplatz ergattert...
  • Die jugoslawischen Behörden hatten die Bürger dazu aufgerufen, während der Sonnenfinsternis in ihren Häusern zu bleiben. Schutzbrillen waren nämlich in Jugoslawien eine Rarität und zudem für die Mehrzahl der Bürger unerschwinglich.
  • Im brasilianischen Bundesstaat Paraiba hat ein Polizeikommisar in seiner Weise auf die Sonnenfinsternis reagiert und drei Räuber wegen des seiner Meinung nach bevorstehenden Weltuntergangs freigelassen. "Sie sollen das Leben genießen", meinte der Kommisar - und betrank sich.
  • Papst Johannes Paul II. kürzte die wöchentliche Generalaudienz im Vatikan um eine ganze Stunde ab: "Ich schließe jetzt, weil ich weiß, daß es einige von ihnen eilig haben, die Sonnenfinsternis zu sehen". Danach verließ er den heiligen Stuhl Richtung Hubschrauber und betrachtete das Ereignis aus gehobener Position.
  • In Jordanien blieben die meisten Bewohner aus Angst vor der Sonnenfinsternis in ihren Häusern. Kurz vor der Verdunkelung heulten vielerorts die Sirenen.
 

Pressezitate:

 

"Sind schon finstere Zeiten, wenn nicht mal mehr die Sonnenfinsternis rüberstrahlt"

(Gregor Pauer über den bewölkten Himmel über Chemnitz während der Sonnenfinsternis, Chemnitzer Blick, 15.08.1999)

 

"So spektakulär das Naturereignis auch gewesen sein mag, so wurden doch auch Defizite sichtbar. Der Mond ist zwar in der Lage, ganz kurz die Sonne zu verdunkeln, im Grunde aber, das wird jeder zugeben müssen, ist dieser Himmelskörper bei der Erschaffung des Kosmos zu klein geraten. Mindestens die doppelte Größe sollte er haben. Dann wäre mit dem Mond noch weit mehr anzufangen. Die Sonnenfinsternis würde länger dauern und sich besser vermarkten lassen."

(Werner Thuswaldner in "Zwischenruf", Salzburger Nachrichten, 12.08.1999)

 

"Gut, daß ich eine Schutzbrille habe, dann regnet es mir wenigstens nicht in die Augen"

(sarkastische Bemerkung eines tschechischen Berichterstatters angesichts einer Gewitterfront über Prag)

 

Übrigens:

Wer noch in den Genuß einer Sonnenfinsternis kommen möchte, sollte sich beeilen. Denn Astronomen wissen, daß sich der Mond pro Jahr 4 Zentimeter in seiner Umlaufbahn von der Erde entfernt. Deshalb wird es in 500 Millionen Jahren keine Sonnenfinsternis mehr geben, weil dann der Mond schon soweit von der Erde entfernt ist, daß sein Schatten unseren Planeten nicht mehr erreicht.

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Text: Copyright © by Claudia Hinz



© 14. November 2001  by Josef Gräf,   Sofi 1999 - Rückblick